Ich bin noch immer völlig konsterniert über das Verhalten unseres Oberbürgermeisters in der gestrigen Sitzung des Stadtrats am 26. Juni zum Thema Erstaufnahmeeinrichtung im Fliegerhorst.
Da setzen sich alle Parteien zusammen und schustern gemeinsam ein Vertragsangebot, mit dem der Staatsregierung zumindest an der Untergrenze des für die Stadtgesellschaft Erträglichen Zugeständnisse abgerungen werden sollen. Eine Verhandlungsgrundlage, die für alle gemeinsam noch erträglich wäre angesichts unserer begrenzten Möglichkeiten. Zusätzlich wird der Landkreis als Mitunterzeichner gewonnen, was dem Angebot weiteres Gewicht verleiht. Um das zu halten, werden unter Zahnschmerzen wenige Detailpositionen aufgegeben.
Der OB hat diese Verhandlungsleitlinie selbst ausdrücklich in vorheriger Stadtratssitzung eingefordert.
Sie wird dann Grundlage eines von seiner Verwaltung entsprechend erarbeiteten Beschlussvorschlags für den Stadtrat. Dieser diskutiert einmütig in der Sitzung einerseits die schlechte Verhandlungsposition der Stadt, andererseits aber die so definierten Mindestanforderungen, die zum Schutz unserer Bürger/innen und ebenso für ein Mindestmaß an Humanität in der aufgeheizten Diskussion erforderlich sind (Begrenzung der Nutzungsdauer, Begrenzung der Höchstbelegung, heterogene Belegung anstelle der Konzentrierung auf afrikanische Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive, bessere Betreuung, personelle Erhöhung unserer Polizeidienststelle). All das, was die Bürgerschaft als Mindestmaß als Entgegenkommen ansieht angesichts bereits jetzt über Jahre meist ungefragt ertragener Zustände. Danach eröffnet unser OB völlig überraschend der Versammlung, er habe heute Nachmittag bereits verhandelt. Alle Punkte des vorgelegten Angebots wären für die Staatsregierung akzeptabel, die Frage der Höchstbelegung (Obergrenze in unserem städtischem Sinn) aber nicht.
Es folgt verständliche Aufregung unter den Stadträten. Viele wohlmeinende Stimmen weisen darauf hin, dass es wenig Sinn mache, in öffentlicher Sitzung zu diskutieren, welchen Verhandlungsspielraum für vermutliche Kompromisse man einzugehen bereit wäre. Dem kann sogar ich folgen, obwohl ansonsten Verfechter größtmöglicher Transparenz und Öffentlichkeit. Diese Hinweise ignoriert der OB, weil er glaubt (nach meiner Erinnerung wörtlich zitiert) „Vorgaben der Staatsregierung“ nicht auszuweichen zu können.
Am Ende kommt es zu einem vielleicht nicht einmaligen, aber sicher sehr seltenen Abschluss: Der Oberbürgermeister stimmt gegen den kompletten Stadtrat inklusive seiner CSU-Fraktion ganz alleine gegen seine eigene Beschlussvorlage.
Ich schätze Erich Raff als Mensch sehr hoch und möchte zugestehen, dass er in dieser Situation seiner eigenen Überzeugung Ausdruck geben wollte. Als OB aber war diese Situation für ihn vorhersehbar. Er hat selbst geschaffen, wohin er geraten war: Am Nachmittag vor der Erteilung eines ihm bekannten Verhandlungsmandats des Stadtrats hat er vielleicht guten Glaubens, aber eigenmächtig vorverhandelt in der Hoffnung, er könne das Ergebnis vorwegnehmen. Als dieser vermeintliche Erfolg nicht eingetreten ist, hat er jede Brücke ignoriert, die sein Stadtrat ihm noch zu bauen sogar gewillt war.
Den Text seines Amtseids kenne ich nicht. Übertragen müsste er wohl lauten „… zum Wohl der Fürstenfeldbrucker Bürgerschaft …zu arbeiten“, jedenfalls ganz sicher nicht zum Wohl der Vorgaben einer Staatsregierung, die sich ganz offensichtlich nicht für Sicherheitsprobleme einer großen Kreisstadt am Stadtrand von München interessiert. Wohlgemerkt: Wir haben noch gar keine wirklichen Sicherheitsprobleme, wir haben nur gut geschürte Angst davor, und genau die sollte die gemeinsam erarbeitete Verhandlungsrichtinie eingrenzen helfen. Und es waren einige Punkte gemeinsam mitgepackt, die aus humanitären Gesichtspunkten die momentan schlicht unwürdige Situation in der Zwangsbewohner des Fliegerhorsts verbessert hätten, damit auch unsere gefühlte „Sicherheitslage“.
Zu seiner Stichwahl hatte sich Erich Raff als Schiedsrichter plakatiert und wollte so angesichts der Mehrheitsverhältnisse den Brückenbauer darstellen. Den Gegenbeweis hat er nun angetreten: Erich Raff gegen alle. Ein trauriges Signal in einer Stadt, die jetzt seit vier Jahren darauf wartet, dass wenigstens irgendetwas bewegt wird (Wohnungsbau, Verkehr, Radwege, Viehmarkt, Innenstadt, Amperauen, Eisstadion, Sport,…, Schulen und Kitas werden ja wenigstens gebaut.)